Was ist Liebe - und warum brauchen wir sie?
Über die Wichtigkeit der Liebe für unsere Zukunft als Menschheit
Was macht es mit dir, wenn jemand zu dir sagt: „Ich liebe Dich“? Woher weißt du, dass der andere den Satz so meint, wie du ihn verstehst? Kannst du diesen Satz formulieren, ohne das Wort Liebe zu verwenden?
Folge mir, wenn ich der Liebe auf den Grund gehe, beschreibe, wie wahrhaftige gegenseitige Liebe aussieht, und erkläre, warum wir sie brauchen - sowohl individuell als auch kollektiv.
Das Wort Liebe hat die Wurzel *leubh- mit der Bedeutung ‚sich kümmern, begehren‘. Daher bedeutet „ich liebe dich“ entweder „ich kümmere mich um Dich“ oder „ich begehre Dich“.
In der Natur gibt es zwei Formen von Liebe: Selbstliebe und Mutterliebe. Beide beruhen auf Fürsorge:
Bei der Selbstliebe kümmert man sich um sich selbst. Alle nicht-menschlichen Lebensformen auf diesem Planeten – und alle Kinder – tun das. Sie kümmern sich um sich selbst, um zu überleben und sich bestmöglich zu entwickeln.
Bei der Mutterliebe kümmert sich die Mutter um das Kind – bevor sie sich um sich selbst kümmert. Eine Mutter verteidigt ihr Kind unter Einsatz ihres Lebens.
Selbstliebe dient dem Überleben des Einzelnen. Mutterliebe dient dem Überleben der Art. Beides ist natürlich und daher wahrhaftig.
In der Natur gibt es keine Liebe, die auf Begehren beruht. Wenn eine Lebensform eine andere begehrt, bedeutet das entweder „Ich möchte dich fressen“ oder „Ich möchte Sex mit dir“. Das Wort Liebe für ein Begehren zu verwenden, ist eine menschliche Erfindung. Dabei gibt es Varianten, zB „Ich begehre Deinen Körper … Dein Geld … Deinen gesellschaftlichen Status … Dein Wissen bzw Knowhow …“
Menschliche Liebe in Form von Begehren ist ein Tauschgeschäft – zB Sex gegen finanzielle Sicherheit. Doch das ist meist manipulativ und missbräuchlich, denn Tauschen ist tatsächlich ein Täuschen. Schließlich kommt das Wort Tauschen vom mittelhochdeutschen Wort tiuschen mit der Bedeutung ‚unwahr reden, betrügen‘. Beide Parteien eines Tauschgeschäfts haben folgende Agenda: „Ich will von Dir so viel wie möglich und gebe Dir so wenig wie nötig“. Daher ist Liebe in Form von Begehren nicht wahrhaftig. Sie ist ein soziales Programm.
Wie sieht eine wahrhaftige Form von gegenseitiger Liebe aus? Das ist auf den ersten Blick nicht leicht zu erkennen, denn die natürlichen Formen von Liebe sind nicht gegenseitig. Die Selbstliebe betrifft nur eine Lebensform, die Mutterliebe ist nicht gegenseitig: Die Mutter liebt ihr Kind, aber das Kind liebt seine Mutter nicht – dh nicht im Sinne von Fürsorge. Das Kind kümmert sich nicht um seine Mutter; es kümmert sich nur um sich selbst. Das ist biologisch sinnvoll und daher wahrhaftig, denn die Aufgabe des Kindes ist, zu überleben und möglichst fit zu werden – damit die Spezies überlebt. Die Aufgabe der Mutter ist, dem Kind dabei zu helfen.
Um herauszufinden, wie eine wahrhaftige Form gegenseitiger Liebe aussieht, machen wir ein Gedankenexperiment. Stell dir einen Menschen vor, der sich selbst liebt. Stell dir vor, dieser Mensch teilt sich in zwei Menschen – so wie eine Zelle sich in zwei Zellen teilt. Diese zwei Menschen bilden ein Team. Bei der Teilung hat sich auch die Liebe geteilt. Aus der Selbstliebe des einen Menschen wurde eine Teamliebe der zwei Menschen: Jeder liebt das Team, dh sich selbst und den anderen. Jeder kümmert sich um sich selbst und den anderen.
Damit das funktioniert, müssen beide einander vertrauen und ein gemeinsames Ziel haben. Stell dir dazu zwei Bergsteiger vor, die mit einem Seil verbunden gemeinsam einen Berg besteigen. Zunächst bleibt einer in gesicherter Position, während der andere nach oben klettert. Hat der Kletternde genug Höhe gewonnen, sichert er sich an der neuen Position und die beiden tauschen die Rollen. Sie sichern und klettern abwechselnd. Dieses Bild veranschaulicht den Nutzen eines Teams und der Teamliebe: Ein Team kann viele Ziele rascher, leichter und sicherer erreichen als einer allein.
Die Voraussetzung für Team- bzw gegenseitige Liebe ist Vertrauen. Jemandem zu vertrauen bedeutet, davon auszugehen, dass der andere wahrhaftig handelt. Dazu gehört, immer die Wahrheit zu sagen.
In der Natur gibt es nur Vertrauen, weil in der Natur alles wahrhaftig ist. Selbst eine Gazelle vertraut einem Löwen – nämlich, dass er sie fressen will; daher läuft sie vor ihm davon. Aber für uns Menschen ist es natürlich, einander zu misstrauen. Der Grund dafür ist, dass wir unwahrhaftig handeln können. Wir können lügen – und tun es auch oft. Und nicht nur das. Eine Lüge ist eine bewusste Unwahrheit. Es gibt auch unbewusste Unwahrheiten. Diese entstehen oft, wenn jemand seinen sozialen Programmen folgt – und das ist meistens der Fall, wie ich in meinem Artikel „Warum die Frage ‚Was bin ich?‘ wichtig und magisch ist“ erkläre. Viele soziale Programme sind unwahrhaftig. Hier ist ein Beispiel: Ein Kind zeigt seine Bedürfnisse. Aber es lernt, einige davon nicht zu zeigen. Es lernt, andere zu täuschen, zu manipulieren und zu missbrauchen, um seine Bedürfnisse auf Umwegen zu befriedigen. Kleine Kinder sind wahrhaftig – doch das geht beim Aufwachsen durch soziale Programmierung verloren.
Warum ist die Liebe so wichtig für uns Menschen? Selbstliebe und Mutterliebe brauchen wir wie jedes Lebewesen für unser Überleben – individuell und als Spezies. Auch gegenseitige Liebe brauchen wir sowohl individuell als auch als Spezies.
Erstens. Wir sind soziale Wesen. Wir sehnen uns danach, mit anderen Menschen zu sein – und wir sehnen uns danach, ihnen vertrauen zu können; und zwar, weil Vertrauen Wahrhaftigkeit bedeutet. Dh tatsächlich sehnen wir uns nach Wahrhaftigkeit in einer Gemeinschaft. Die gegenseitige Liebe zweier Menschen ist ein Versuch, jemandem zu vertrauen. Doch das scheitert nur allzu oft aufgrund von bewussten und unbewussten Unwahrhaftigkeiten.
Zweitens braucht die Menschheit die gegenseitige Liebe, um voranzukommen. Um das einzusehen, betrachten wir die großen Schritte der Evolution auf diesem Planeten. Der erste Schritt war von der Materie zum organischen Leben. Das geschah durch die Entstehung der Zelle als kleinste Einheit des Lebens. Im zweiten großen Schritt begannen Zellen zu kooperieren und ihr Überlebensknowhow zu bündeln. So entstand die Vielfalt mehrzelligen Lebens in Form von Pflanzen und Tieren. Der dritte große Schritt war vom Leben zum kreativen/bewussten Leben. Das geschah durch die Entstehung des Menschen. Kreativität ist, wie jedes Werkzeug, weder gut noch schlecht; erst ihre Verwendung macht sie dazu. Mit unserer Kreativität können wir wahrhaftig und konstruktiv über die Natur hinausgehen – oder unwahrhaftig und damit destruktiv handeln; zB ist jede Lüge kreativ. Der vierte große Schritt in der Evolution wird die Kooperation von Menschen sein, die ihre Kreativität bündeln. Dann sind wir als Menschheit grenzenlos und werden alle Probleme, die es heute auf diesem Planeten gibt, lösen. Doch dazu müssen wir erst lernen, unsere Kreativität wahrhaftig einzusetzen; und wir müssen das egoistische Festhalten an den eigenen Ideen, was sich zB durch das Copyright und den Patentschutz ausdrückt, aufgeben.
Gegenseitige Liebe ist die Voraussetzung für eine wahrhaftige, konstruktive Zusammenarbeit von zwei oder mehr Menschen. Sie ist die Grundlage für gemeinsames Wachstum. Wenn du dich von deinen Programmen befreist, erhöhst du deine Fähigkeit zu lieben. Wie das geht, beschreibe ich in meinem demnächst erscheinenden Artikel „So wirst du in 7 Schritten, was du wahrhaftig bist“.
Hier sind ein paar Übungen:
Übung 1: Denk an die letzten 24 Stunden. Bei welchen Gelegenheiten hast du gelogen? Das können auch kleine Lügen sein. Wenn du zB gefragt wirst, ob es dir gut geht, und du sagst „ja“, obwohl es dir nicht gut geht, hast du gelogen. Bei welchen Gelegenheiten weißt oder vermutest du, belogen worden zu sein?
Übung 2: Hast du unerfüllte Bedürfnisse? Wie versuchst du, sie zu erfüllen?
Übung 3: Analysiere vergangene Partnerschaften. Inwieweit hast du deinen Partnern vertraut? War dein Vertrauen gerechtfertigt? Inwieweit haben deine Partner dir vertraut? War ihr Vertrauen gerechtfertigt?
Übung 4 (falls du derzeit in einer Partnerschaft bist): Was hast du von deiner Partnerschaft? Was hat dein Partner von der Partnerschaft? Habt ihr ein gemeines Ziel? Unterstützt ihr euch gegenseitig beim Wachsen? Welche Tauschgeschäfte gibt es zwischen euch?
Weitere Übungen findest du in meinem Buch „Frei sein – Raus aus der Box“.
Weiterführend:
Artikel „Warum die Frage ‚Was bin ich?‘ wichtig und magisch ist“
Artikel „So wirst du in 7 Schritten, was du wahrhaftig bist“ (erscheint demnächst)
Buch „Frei sein – Raus aus der Box“